Ausstellungen seit 1997
Am 11. Mai 1997 eröffnete das Museum seine Dauerausstellung „Das bescheidene Landarbeiterleben in der Marsch von 1900 bis 1950“. Am Beispiel von Alerk Janssen und Remmer Iben wird die Frage beantwortet, wie die Landarbeiter und ihre Familien in den Marschdörfern gelebt haben. Remmer Ibens Geschichte steht für die Anpassung an die herrschenden Verhältnisse in der Marsch. Er kam als „Grootknecht“ zu Ansehen und Eigentum. Alerk Janssens Geschichte steht demgegenüber für den Widerstand gegen diese Verhältnisse. Er nahm an den Landarbeiterstreiks nach 1918 teil und fand später „Arbeit und Brot“ bei Arbeitgebern in der Stadt Emden.
Beschreibung folgt ...
Zur Vorbereitung der diesjährigen Ausstellung „Kinnertied – stuur un ok mal mooi“ haben die Mitglieder der Geschichtswerkstatt des Landarbeitermuseums u. a. im Staatarchiv Aurich die Wiemann-Protokolle ausgewertet und mit dem Plaggenburger Johannes Walter über seiner Kindheit gesprochen. Aus diesen Quellen erschließt sich die Kinderzeit vor dem 2. Weltkrieg in Ostfriesland, wie sie die diesjährige Ausstellung anschaulich macht:
Natürlich, auch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts glich keine Kindheit der anderen. War die Zahl der Geschwister kleiner, waren die Eltern ihren Kindern besonders zugewandt, waren sie ehrgeizig, blieben alle von schweren Krankheiten verschont, gab es engeren Kontakt zu den Großeltern, besaß die Familie genug Land, um nicht nur Kartoffeln und Gemüse zu ernten sondern auch einige Tiere zu ernähren, waren Eltern oder Großeltern handwerklich besonders geschickt oder liebten es, Geschichten zu erzählen, so machte das die eine Kindheit glücklicher als die andere.
Hineingeboren wurden die Kinder in eine oft vielköpfige Familie. Die Geburt fand zuhause statt. Die Kinder schliefen entweder zu mehreren in Butzen oder zu mehreren oder alleine in Betten. Einzig beheizter Raum war die Küche. Von Hunger wird nicht erzählt. Gegessen wurde, was man im Garten und im Stall selber erzeugte; eingekauft wurde nur das Nötigste.*1 Die Nahrung war in der Regel fettreich und kaum abwechslungsreich: „Weggeworfen wurde fast nichts. Grundlage des Mittagessens waren Kartoffeln, dazu gab es Kohl und Gemüse aus unserm Garten Fleisch war knapp. Und abends standen wieder Schwarzbrot und Wurst auf dem Tisch.
Schon früh müssen die Kinder in der Familie mithelfen. Johannes Walter zum Beispiel erzählt, schon lange vor der Schulzeit seinem Vater in der dunklen Jahreszeit beim Füttern der Tiere die Petroleumlampe gehalten zu haben. Je älter die Kinder werden, umso regelmäßiger und länger werden sie zur Mitarbeit im Garten und auf dem Feld herangezogen.
Johannes Walter: „Die Mitarbeit von uns Kindern im Haushalt und in der Landwirtschaft war von Klein auf selbstverständlich. Dadurch lernten wir schon früh, Ordnung, Sparsamkeit und Pflichtbewusstsein kennen. Immer wieder wurden wir gerufen, um mit Hand anzulegen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich meinem Vater Tee und Essen aufs Feld bringen musste oder bei der Gartenernte oder der Grabenreinigung half. Getreide wurde in Säcken von bis zu 150 Pfund gelagert. Wir hatten kein Pferd und natürlich erst recht kein Auto. Einen Getreidesack schoben wir mit dem Fahrrad, am bestem einem Damenfahrrad zur Mühle.“ Und an anderer Stelle: Wie gesagt, es war selbstverständlich weil lebensnotwendig, dass alle Familienmitglieder mitarbeiteten. Ich musste schon früh bei der Heu- und Getreideernte, beim Torfstuken - letztlich bei allen anfallenden Arbeiten im Verlauf des Jahres mithelfen.
Bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges, wurde, trotz Verbots, die Kinderarbeit auch von den Volksschullehrern organsiert. „In der Heuzeit, da wurde ja gar nicht gefragt. Da sagte der Lehrer von sich aus, ‚und du und du und du, ihr kommt gut mit, ihr müsst um elf Uhr zum Bauern sowieso.‘ Dann mussten wir nachharken. Ob wir wollten oder nicht, wir wurden überhaupt nicht gefragt.“
Doch auch ein anderer Teil der Kindheit sollte nicht vergessen werden: Kindern heute wird wenig befohlen und viel erklärt. Eltern müssen sich für ihre Entscheidungen rechtfertigen, Lehrer sowieso.
Was die Erwachsenen sagten, war Gesetz. Und wer dagegen verstieß, musste mit körperlicher Züchtigung rechnen. Das war die eine Seite der Medaille. Die andere war, dass die Kinder außerhalb der Reichweite der Autorität für uns heute unvorstellbare Freiheiten genossen. Während heute die Tage der Kinder in der Ganztagsschule, während der Schularbeiten-Hilfe, im Sportverein und im Musikunterricht durch Erwachsene kontrolliert werden und in ein festes Zeit- und Regelsystem eingefügt sind, waren die Kinder damals lange Stunden sich selber überlassen, Stunden, in denen sie weitgehend tun und lassen konnten, was sie wollten. Johannes Walter zum Beispiel erzählt, dass er zusammen mit Schulfreunden Flaschen und Karbid „stibitzte“, um damit Erdwälle zu sprengen – für moderne Eltern ein Alptraum von Freizeitgestaltung. Was kann da alles passieren! Zudem stände schon nach der ersten Sprengung die untere Naturschutzbehörde vor der Tür und bei der zweiten käme ein Bußgeldbescheid und das Jugendamt. Üblich war es damals auch, mit der Glut des Osterfeuers Flurstücke in Brand zu setzen – auch das, ohne dass sich jemand aufregte. „Wir setzten das trockene Gras auf den Wällen und Wegrändern in Brand, bis alles verqualmt war.
Die Kindheit endete nach acht Jahren Volksschulzeit mit 14 Jahren. Zwar gibt es keine Statistiken, es ist aber davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Kinder auch wieder Landarbeiter wurden, wobei im Laufe der Jahre mit der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft und dem dadurch bedingten Wegfall von Arbeitsplätzen die Zahl derjenigen zunimmt, die sich für einen Lehrberuf entscheiden. 1957 ist im Ostfriesischen Schulblatt zu lesen, dass nur noch fünf bis zehn Prozent der Jungen und Mädchen nach der Schulentlassung einen landwirtschaftlichen Beruf ergreifen.
Bekannt ist auch, dass die harte körperliche Arbeit von früher Jugend die Gesundheit der Kinder schädigt. Auch das wird im Handbuch der Volksschulpädagogik dokumentiert. „Die Dürftigkeit des Lebens und die Härte der körperlichen Arbeit lassen die Entfaltung geistiger Interessen kaum zu, ja selbst die körperliche Pflegekommt nicht zu ihrem Recht, so dass der Gesundheitszustand der Kinder auf dem Lande infolge einseitiger Ernährung, Überanstrengung, mangelnder Hautpflege und dergleichen vielfach recht ungünstig ist.“
Die Diskrepanz zwischen den Bildungschancen in der Stadt und auf dem Land ist mit bloßem Auge erkennbar: Dort große Schulen in oft neuen Schulgebäuden, hier kleine, oft von einer unterfinanzierten Gemeinde vernachlässigte Schulhäuser. Noch 1958 werden die einklassigen ostfriesischen Dorfschulen so beschrieben: „Die ländlichen Schulhäuser aus dem 19. Jahrhundert – es waren bis zur Nachkriegszeit und sind auch heute noch erschreckend viele noch in Gebrauch - … sind meist leicht gebaut, gegen Feuchtigkeit nur unzureichend isoliert. Die Klassenräume oft sehr hoch, … haben einfache Fenster, vielfach aus Gußeisen, mit wenigen beweglichen Flügeln für die Belüftung. Ein eiserner Ofen, mit Torf beheizt, muss im Winter den Raum erwärmen; in seiner Nähe ist es zu heiß, im übrigen Raum kalt und die Ofenecke ist eine Dreckecke. Zu diesen Schulen gehört, irgendwo abseits auf dem Schulplatz, ein mehr oder minder primitiver Bau mit Grubenaborten. … der Pausenhof: vielleicht ein befestigter Platz, gar unter einigen Bäumen, vielleicht aber auch nur ein Eckchen vom Kirchhof oder ein Stück Dorfstraße.“
*1 Siehe hierzu das Heft zur Ausstellung „Kooplü in’t Dörp“
Van veer Ühr bit söven Ühr up de Arbeid
Von vier Uhr bis sieben Uhr bei der Arbeit
Teil 1 zum Thema: Leben der Kinder in Landarbeiterfamilien ...
Mit dieser Ausstellungwurde ein weiterer Aspekt des „Lebens der kleinen Leute“ vertieft. „Eeten un Drinken“, ein Grundbedürfnis, welches sie nur mehr schlecht als recht befriedigen konnten.
Wie bei allen Themen, die die Geschichte des Alltags betreffen, ist auch hier die Quellenlage nicht besonders reich gesät. Es gibt natürlich eine Menge ostfriesischer Kochbücher, Broschüren mit „Döntjes“ und „Vertellsels“, die auch das Essen und Trinken betreffen, aber es geht fast nie um die kleinen Leute, die sich die Zutaten für ostfriesische Spezialitäten oftmals nicht leisten konnten. Daher lassen wir zu diesem Thema in unserer gleichnamigen Broschüre (Heft 3) einige Landarbeiter und andere Zeitgenossen authentisch zu „Wort“ kommen. Sie finden dort ein „Lexikon von A - Z“, was das Essen und Trinken betrifft mit vielen Hinweisen auf die Situation, insbesondere in Landarbeiterfamilien und natürlich viele Rezepte zum Nachkochen.
* Was gab es denn zu essen?
„Zum Frühstück gab es Pfannkuchen, manchmal mit Speck oder Brot mit Schafbutter, Milch- oder Buttermilchbrei. Mittags immer nur Eintopf, viel mit Gemüse aus eigenem Anbau. Abends dann wieder Buttermilchbrei oder Roggenmehl-Flupp (ein Gemisch aus Mehl, Milch und etwas Salz). Nach dem Schlachten gab es Blutwurst oder während der Kalbungszeit der Kühe auch „Beestpiddel“ (eine gebratene Süßspeise aus der ersten Milch der abgekalbten Kuh). Ab und an gab es Kartoffeln mit Stipp. Zum Trinken bekamen wir nur dünnen Malzkaffee.“ Dies berichtete uns Tjade Dirks aus Suurhusen bei unseren Recherchen zur Ausstellung.
Alerk Janssen erzählte vom Essen als Knecht auf dem Bauerhof: „Jede Woche dasselbe: Erbsensuppe, Wirsing- oder Weißkohl, Graue Erbsen, Grieß- oder Graupensuppe und sonntags Milch- oder Buttermilchbrei.“
In unserer ersten Ausstellung „Spurensuche eines Dorfes in der Marsch“ beschäftigten wir uns hauptsächlich mit der „Suurhuser Dorfstruktur“ im 18. Jahrhundert, d. h. der sozialen Zusammensetzung der Dorfgemeinschaft und deren wirtschaftlichen Strukturen, veranschaulicht an einem Modell, welches heute in der alten Kirche Suurhusen* zu besichtigen ist. Die Ausstellung war eingebunden in die Gemeinschaftsausstellung des Museumsverbundes Ostfriesland mit dem Titel „Als Friesen Preußen waren“, die Ergebnisse der Nachforschungen sind in unserem Heft 2 als „Spurensuche“ dokumentiert.
*„Zuyderhuysen“ (niederländisch für Süderhausen bzw. südliche Häuser) gehörte mit rund 200 Einwohnern zu den großen Dörfern Ostfrieslands. Man kann davon ausgehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein ärmliches Leben geführt hat, auch in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur. Etwa ein Drittel der ansässigen Familien lebte von den geringen Einkünften der Landarbeiter, ein weiteres Drittel bestritt den Lebensunterhalt aus kleinen Handwerksbetrieben. Eigene oder gepachtete Höfe bewirtschaftete etwa ein Viertel.
Das Dorf Suurhusen ist auf einer Warf von 550 m Länge und 210 m Breite gebaut. Die Gemarkung umfasste zirka 900 ha und im Jahre 1768 gab es 52 Häuser und 4 Armenhäuser, eines davon war zur Zeit der Preußischen Regierung unser Landarbeiterhaus, zu dem es 1832 umgebaut wurde.